Studierende mit humanistischen Lebensauffassungen sind politisch schlechter gestellt als kirchlich bzw. religiös orientierte KommilitonInnen.
Humanismus gehört zweifellos zu den großen Traditionslinien der europäischen Philosophie und Geistesgeschichte. Er kann aus der Entwicklung des modernen, offenen Europas nicht weggedacht werden. Humanistische Ideen und Philosophien waren und sind konstitutiv für unsere freiheitliche Gesellschaft, für die Gesetzgebung und Rechtsprechung. Doch an den Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland spiegelt sich dies selbst über 2.000 Jahre nach dem Leben der Gründer der großen hellenistischen Philosophenschulen – Stoa, Epikureismus und Skepsis – nur begrenzt wider.
Kein Platz in Forschung und Lehre
Ein selbstbewusster Humanismus, der sich als vollwertiges Äquivalent zu den Religionen versteht, hat an den deutschen Universitäten bis heute keinen Platz. Er tritt allenfalls als ein seltenes Objekt der Philosophiegeschichtsschreibung oder am Rande von religionssoziologischen Analysen in Erscheinung. Fast 60 Hochschulen in Deutschland bieten dagegen Forschungs- und Lehreinrichtungen, die der akademischen Qualifikation in bekenntnisgeprägten Berufs- und Tätigkeitsfeldern dienen: Es sind die zahlreichen staatlichen Einrichtungen für katholische, evangelische, jüdische, islamische und alevitische Theologie und Religionspädagogik.
Völlig außen vor geblieben ist bei den Entwicklungen in der Hochschullandschaft die Tatsache, dass es in der Bundesrepublik nicht nur eine Pluralisierung der religiösen Bekenntnisse gegeben hat. Parallel dazu ist auch der Anteil der Menschen in der Bevölkerung gewachsen, die kein religiöses Bekenntnis teilen, sondern nichtreligiöse Lebensauffassungen mit humanistischer Prägung besitzen und dementsprechende Angebote in Anspruch nehmen bzw. in Anspruch nehmen würden, wenn es denn welche bzw. genug gäbe.
Hochschuleinrichtungen, die sich der Erforschung und der Ausarbeitung des Humanismus als bedeutender weltanschaulicher Traditionslinie auf akademischer Augenhöhe widmen können, fehlen jedoch. Angesichts einer sich weiter weltanschaulich wandelnden Gesellschaft kann der Entwicklungsprozess nicht mit der Etablierung der islamischen, jüdischen und alevitischen Theologien beendet sein. Denn es bleibt eine wachsende Zahl kirchenferner BürgerInnen, die sich zu den Grundsätzen des weltlichen Humanismus bekennen, an der Finanzierung der Hochschulen beteiligt. Diese müssen somit ebenfalls die Möglichkeit erhalten, ihren Bedarf an universitärer Forschung, Reflexion und Qualifikation zu decken.
Fehlende Begabtenförderung
Nichtreligiöse Menschen stehen nicht nur bei der universitären Anbindung zur Qualifikation für bekenntnisgeprägte Berufs- und Tätigkeitsfelder schlecht da. Auch der Blick auf die Begabtenförderwerke zeigt: Studierende, die kein Bekenntnis zum christlichen, jüdischen oder islamischen Glauben teilen, sind im Nachteil gegenüber religiös orientierten Studierenden. Denn vier konfessionell geprägte Begabtenförderungswerke können Stipendien aus ihnen zugewiesenen Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) vergeben: das jüdische Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk, das Evangelische Studienwerk Villigst, das katholische Cusanuswerk sowie das im Jahr 2014 eröffnete Avicenna-Studienwerk für muslimische Studierende.
Zwar fördern alle 13 vom BMBF überwiegend finanzierten Begabtenförderungswerke nur rund ein Prozent aller Studierenden in Deutschland, die Summen sind trotzdem durchaus beachtlich: So vergab das BMBF im Jahr 2016 rund 243 Millionen Euro an die insgesamt 13 Begabtenförderungswerke. 13,3 Millionen Euro entfielen allein auf das bischöfliche Cusanuswerk, rund 88 Prozent des Cusanus-Etats.
Die Zuwendungen an die vier konfessionellen Begabtenförderungswerke beliefen sich laut BMBF im Haushaltsjahr auf über 33 Millionen Euro. Über 3.500 Studierende und Promovierende wurden zu dieser Zeit durch die vier Werke gefördert.
Ebenso wichtig wie die finanzielle Förderung ist aber auch die ideelle Förderung, etwa im Rahmen von Seminaren, Bildungsreisen und anderen Veranstaltungen. So entstehen für Menschen mit religiösem Bekenntnis Netzwerke, die weit über das Studium hinausreichen und u. a. im Berufsleben wirksam sind. Humanistische Studierende haben vergleichbare Chancen auf solche Förderung en bislang nicht – obwohl nichtreligiöse SteuerzahlerInnen durch ihre Leistungen ebenso zum Etat des BMBF beitragen wie gläubige BürgerInnen.