Das Verhältnis zwischen der Politik auf Bundes- wie Länderebene und den Religionen bzw. Weltanschauungen befindet sich seit mehreren Jahrzehnten in einer deutlichen Schieflage – Tendenz zunehmend, denn immer mehr Menschen gehören zu keiner Kirche oder anderen Religionsgemeinschaft.
Erstmals in dieser Form widmet sich das jüngste Buch des Juristen und Verfassungsrechtsexperten Thomas Heinrichs dem Themenkomplex von Religion und Weltanschauung im Recht der Bundesrepublik Deutschland, sowohl auf verfassungsrechtlicher wie einfachgesetzlicher Ebene. In dem Sammelband mit acht Aufsätzen zu aktuellen Themen wie dem Religions- und Ethikunterricht an der Schule, der Integration des Islams und dem kirchlichen Arbeitsrecht findet sich eine bisher einzigartige Darstellung des Religions- und Weltanschauungsrechts unter besonderer Berücksichtigung der Interessen konfessionsfreier Bürgerinnen und Bürger. Diese repräsentieren mittlerweile ein gutes Drittel der Bevölkerung in Deutschland.
Thomas Heinrichs verweist auf relevante Beispiele für teils gravierende Defizite bzw. Reformbedarfe und macht Vorschläge auch unter Berücksichtigung der europarechtlichen Rahmenbedingungen. Zugleich geht er ein auf den Begriff der Weltanschauung im deutschen und europäischen Recht, analysiert die soziologisch geprägte Verwendung des Begriffs durch das Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgericht, präsentiert philosophisch-juristische Überlegungen zum Verhältnis von Religion bzw. Weltanschauung und Politik. Des Weiteren skizziert Heinrichs das „Diskriminierungsrisiko Weltanschauung“, auch anhand seiner im vergangenen Jahr von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Auftrag gegebenen und veröffentlichten Expertise dazu.
Schwerpunkte seiner Aufsätze liegen auf der Kirchenförmigkeit des bisher angewandten Rechts der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im deutschen wie europäischen Rahmen, der moralischen bzw. wertebildenden Erziehung an der Schule und der Privilegierung der Kirchen im Arbeitsrecht der Bundesrepublik.
Zum Problemfeld der Kirchenförmigkeit von Gesetzen und Politik konstatiert Heinrichs unter anderem: „Das Bundesverfassungsgericht hat im Hinblick auf die Kirche in mehreren Urteilen immer wieder betont, dass die Wahl der Organisationsform Teil des religiösen Selbstbestimmungsrechts ist. Das kann für andere Religionen oder Weltanschauungen nicht anders gelten. Eine Religion oder Weltanschauung darf nicht wegen der von ihr aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen gewählten Organisationsform benachteiligt werden.“ Und weiter: „Dass die Integration nicht kirchlich organisierter Religionen und Weltanschauungen in Deutschland auch eine Modifizierung des Rechts verlangt, wird schon seit längerem von Juristen bejaht. Passiert ist aber bisher nichts – außer dass die Gerichte zum Teil die Auslegung der Gesetze der Wirklichkeit angenähert haben. Noch immer erwartet der Staat, dass sich die nicht kirchlich organisierten Religionen und Weltanschauungen dem Muster der Kirchen passen. Das ist weder juristisch noch politisch vertretbar“, so Thomas Heinrichs.
Thomas Heinrichs
Religion und Weltanschauung im Recht – Problemfälle am Ende der Kirchendominanz
Reihe Humanismusperspektiven, Bd. 2
Alibri Verlag, Aschaffenburg 2017
269 Seiten, kartoniert
22 Euro
ISBN 978–3‑86569–271‑9
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